Hegels Philosophie by Günter Zöller
Autor:Günter Zöller
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Philosophie: Allgemeines, Nachschlagewerke
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2020-02-03T00:00:00+00:00
Recht und Moralität
Die primäre Aufgabe der Philosophie des Rechts ist es, den logischen Aufbau der gesellschaftlichen Wirklichkeit zur begrifflichen Darstellung zu bringen. Formal bedingt dies den Gang der Grundlinien vom Einfachen und Elementaren zum Gegliederten und Komplexen. Inhaltlich schreiten die Grundlinien dabei durch sich einstellende Gegensätze und auftretende Widersprüche zu endlich erlangten Auflösungen und aufwändig erzielten Versöhnungen. Konkret verfolgen die Grundlinien die Entwicklung des Begriffs vom Recht in drei aufeinander folgenden Sphären: dem formal allgemeinen, abstrakten Recht, der dazu konträren, inhaltlich besonderen Moralität und der die gegensätzlichen Elemente von Recht und Moralität wieder versöhnenden, konkreten Sittlichkeit.
Doch fällt die eben skizzierte logische Entwicklung des Begriffs des Rechts in den Grundlinien nicht zusammen mit der realen Entwicklung der Gestalten des Rechts, die Hegel ebenfalls berücksichtigt. Der Sache nach ist für Hegel die abschlieÃende Phase der logischen Entwicklung, also die Sittlichkeit, gegenüber dem Recht und der Moralität das Primäre. Und auch innerhalb der Sittlichkeit ist für Hegel nicht deren logisch-begrifflicher Anfang mit der Familie sachlich primär. Vielmehr hat der ganz am Ende der logischen Entwicklung stehende Staat den sachlichen Vorrang. Damit kehrt sich die logische Ordnung des Begriffs vom Recht in den Grundlinien auf der Sachebene in ihr gerades Gegenteil. Es ist die abschlieÃende begriffliche Gestalt des Staates, die den am gründlichsten konkretisierten Begriff des Rechts liefert und die deshalb vorrangig ist gegenüber den vergleichsweise abstrakten Sphären von Recht und Moralität sowie von Familie und bürgerlicher Gesellschaft.
Wenn sich so die sukzessiv entfalteten logisch präparierten Elemente des Begriffs des Rechts (abstraktes Recht, Moralität, Sittlichkeit) als künstlich isolierte Momente erweisen, muss sich das auch auf die Auffassung und Einschätzung der dem Staat vorausliegenden Sphären auswirken. Abstraktes Recht, Moralität, Familie und bürgerliche Gesellschaft bilden nicht vorläufige Stufen einer Entwicklung, die nach und nach überwunden oder abgelegt werden. Vielmehr sind die früheren Stufen in der späteren Entwicklung berücksichtigt und aufbewahrt («aufgehoben»). Was die früheren Stufen liefern, sind nicht defekte und defizitäre Vorformen, sondern essentielle, wenn auch einseitige und insofern beschränkte Bestandteile der sich herausbildenden gesellschaftlichen Gesamtordnung.
In dieser zwischen dem logischen und dem realen Entwicklungsgang ausgewogenen Doppelperspektive sind auch die ersten beiden Teile der Grundlinien über das abstrakte Recht und die Moralität zu sehen. Sie sind integrale und vollwertige Bestandteile von Hegels Philosophie des Rechts. Beide Sphären werden von der anschlieÃenden Rechtsgestalt der Sittlichkeit nicht einfach abgelöst, sondern bleiben vorausgesetzt und durchaus funktionsfähig. Deshalb verdienen sie auch eigene Beachtung jenseits ihrer Zuliefererfunktion für die Sittlichkeit.
Zusätzlich zum umfassenden, allgemeinen Begriff des Rechts, dessen Entfaltung den Gesamtgegenstand der Grundlinien bildet, behandelt Hegels Philosophie des Rechts gleich eingangs das Recht in engerer juridischer Bedeutung. Die Kennzeichnung des Rechts als «abstrakt» bringt dabei zum Ausdruck, dass die rechtlichen Relationen auf dieser Ebene der Betrachtung nicht den Einzelnen in seiner Besonderheit betreffen, sondern die juristische Person («Personalität»).
Die primäre Eigenschaft der Person als solcher im abstrakten Recht ist der Wille, mit dessen Auffassung als Einheit von Denken und Handeln der Beginn der Rechtsphilosophie als der Philosophie des objektiven Geistes an die systematisch voraufgehende Philosophie des subjektiven Geistes anschlieÃt. Doch anders als die auf das
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